Die lächelnde Madonna von Lauter (um 1260 n. Chr.)

In seinem Kunstkalender 1913 "Altfränkische Bilder" Schreibt Dr. Theodor Henner: "Bei Gelegenheit der jüngst betätigten Vorarbeiten für die Beschreibung der Kunstdenkmäler des Königreiches Bayern wurde man in der Kirche der zur Pfarrei Stralsbach gehörenden Filiale Lauter auf die hervorragende Schönheit einer alten Madonna mit Jesuskind aufmerksam, ein Werk, das durch das anmutige Antlitz und die herrlich behandelte Gewandung geradezu überraschend wirkt."

Die lächelnde Madonna von LauterEs ist dies die erste uns bekannte Notiz, welche die Kunstwelt von der Lauterer Madonna genommen hat, einer 107 cm hohen Plastik aus grauem Sand-Stein. Maria thront auf einer Bank mit profilierter Sitzplatte. Sie trägt ein enganleigendes, langärmeliges Untergewand, darüber einen faltigen Mantel. Auf der rechten Schulter ist der Mantel mit einer Agraffe in Form einer doppelten Rosette Lind einer Quaste verziert. Im Haar trägt die Gottesmutter ein Diademband mit Rosetten und Geschmeideauflagen. Das Kopftuch ist an den Rändern in feinem Selfkant gewellt. Das fast nackte Jesuskind hält sie auf dem Schoß und stützt es mit der linken Hand, mit welcher sie zugleich die Windel zusammenfaßt. Die Windel ist wie das Kopftuch zierlich gesäumt. Der fast waagrecht liegende Jesusknabe faßt mit seiner Rechten, gleichsam spielerisch, nach dem Mantelband und schaut dabei zu seiner Mutter auf. Besondere Aufmerksamkeit verdient die vollendete Gestaltung des Gewandes, wie man Sie an anderen Bildwerken dieser Zeit in Franken selten sieht. Im Vergleich zu den mädchenhaften, schlanken Madonnen dieser Zeit wirkt die ganze Figur doch etwas behäbiger, trotz des jugendlichen Antlitzes.
 

Das runde Gesicht mit dem leichten Doppelkinn, die gewölbte Stirne und die Gestaltung der Nase mögen wohl in dem lebenden Modell begründet sein, welches der Künstler vor sich hatte. Der Typus dieses Frauenprofils ist hier in den Dörfern der Rhön vielfach zu finden. Natürlich hat das Gesicht nicht die Hoheit der Frauenrother Stifterköpfe, aber es strahlt mütterliche Güte und fast französischen Charme aus. Auch die schräggestellten Augen passen in diese Betrachtungsweise.

Das huldvoll geneigte Haupt und die Geste der rechten Hand geben dem Bildwerk einen besonderen Akzent. Die rechte Hand ist geoffnet als wolle sie eine Gabe entgegennehmen. Mit den Frauenrother Bildwerken hat die Lauterer Madonna nur das Material gemeinsam. Man hat Sie oft mit den Madonnen im Dom zu Naumburg verglichen. Andere möchten eine Verwandtschaft zu den Figuren am Straßburger Münster feststellen und Karl Kolb überschreibt seine Würdigung mit "Das Lächeln von Reims in Lauter". Wieder andere sehen in der Spital-Madonna von Mergentheim ein Werk gleicher Art. In Wirklichkeit ist die stilistische Verwandtschaft - besonders des Kopfes - gering. In der gleichzeitigen fränkisch-thüringischen Plastik ihrer Zeit sind kaum
Parallelen vorhanden, und auch eine Einreihung in eine lokale Kunstzone gelingt nicht recht. Bei Karl Kolb finden wir Hinweise, die uns wohl am ehesten auf die richtige Spur führen: Es unterliegt kaum einem Zweifel, daß die Figur aus dem Zisterzienzerinnen-Kloster Frauenroth stammt; das geistige Zentrum der Zisterzienser war im 13. Jahrhundert Burgund. Die Zisterzienser besaßen in dieser Zeit etwa 700 Niederlassungen.

Wegen Ihrer regen Bautätigkeit unterhielten Sie eigene Bauhütten und ließen auch alle bildhauerischen Arbeiten ausführen. Eine ganze Reihe rechtsrheinischer Arbeiten zeigen die Handschrift dieser burgundischen Bauhütten: die schräggestellten Augen, die Behandlung des Haares, das Lächeln. Dieses war ein Stilmittel der Zeit um 1250, eine künstlerische Mode, die, wie vieles damals, aus dem Westen mit herübergekommen ist. Professor Hanftmann vertritt in einem Aufsatz im Frankenkalender 1933 die Auffassung, daß es bei den freizügigen, wandernden Steinhandwerkern der damaligen Zeit eine Arbeitsteilung gegeben habe: Da waren die einfachen Steinmetze, welche die Bausteine zurechtschlugen, dann die Ornamenthauer und schießlich die freien bildhauerischen Gestalter, die selbstverständlich die gültigen handwerklichen Regeln beachteten, ihren Werken aber doch eine ganz eigene künstlerische Handschrift verleihen konnten. Die Einmaligkeit der Lauterer Madonna in der fränkischen Kunstszene haben wir wahrscheinlich einem solchen Künstler zu verdanken. Was liegt näher als die Vermutung. Beatrix von Courtenay, die Französin auf der Burg Bodenlauben, habe sich auf einer ihrer Reisen in ihre Heimat einen solchen Meister verpflichtet. Es ist bekannt. daß in unserer Gegend einzig die wohlhabenden Henneberger in der Lage waren, zur Herstellung eines Kunstwerkes kostspieligere Wege zu gehen. So kommt es, daß Sich die Madonna von Lauter wohl in keine "Schule" einordnen läßt. Sie darf aber füglich als besonderes Glanzlicht im Kunstschaffen der Stauferzeit in Franken bezeichnet werden. Die Skulptur soll vor etwa hundert Jahren auf einer Höhe am ortsverbindungsweg Frauenroth-Stralsbach an der Abzweigung nach Aschach im Boden liegend aufgefunden worden sein. Der Kopf des Jesusknaben und eine Hand fehlten. Nach einer Mitteilung des Pfarrers von Poppenroth (1914) wurde das Bildwerk "erst vor wenigen Jahren" nach Stralsbach gebracht. Vermutlich hat dann ein Stralsbacher Pfarrer in seiner Fillalkirche Lauter das Kunstwerk aufstellen lassen.

Ein Lauterer Bauer ackerte Jahre später den Kopf des Jesusknaben auf seinem Feld heraus, und ein Lauterer Maurer zementierte den Kopf an. Es liegt die Vermutung nahe, daß die Plastik beim Transport (in den Bauernkriegen? Im 30-jährigen Krieg?) umkippte, wobei der Kopf des Jesusknaben abbrach. Während man das Bildwerk liegen ließ, mußte das Transportfahrzeug weitergelahren sein und den Kopf des Kindes später verloren haben.

Rudolf Schubert

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